eriks reise
Drei Erzählungen
124 Seiten, 16 × 23,5 cm
Softcover
Mit S/W-Illustrationen des Autors
22 Euro / 24 CHF
ISBN 978-3-907296-04-2
Caracol Verlag, CH-Warth
caracol-verlag.ch
September 2020
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Textauszug aus der Titelgeschichte:
Nach fünfundzwanzig Tagen auf See erreichen sie Rodriguez im Indischen Ozean. Malte steht auf Deck. Ausgestattet mit gelbem Schutzhelm und großen Kopfhörermuscheln bedient er einen der Kräne zum Löschen der Ladung. In seinem orangefarbenen Overall ist er unübersehbar. Erik steht an Land und ist per Sprechfunk mit seinem Freund und Kollegen verbunden.
Auf der östlich von Mauritius gelegenen Insel sollen zwanzig Autos und zwei Druckmaschinen gelöscht werden. Erik steht auf dem Kai und überwacht das Kranen der Ladung. Die Kundin und ein Begleiter stehen neben ihm und schauen gespannt in die Höhe, wo Malte die erste der mächtigen, schwarzen Druckmaschinen langsam nach unten schweben lässt.
Erik nickt der Kundin zu und deutet an, dass er gleich Zeit für sie hat. Als die erste Maschine sicher auf dem Boden steht, nimmt er den überdimensionierten Kopfhörer von den Ohren und klemmt ihn an den Helm. Dann wendet er sich den beiden Leuten zu.
«Ich bin Fleur Hendrics, das ist M. Harbor, ein guter Freund und Notar, der mich beim Import der Maschinen rechtlich unterstützt hat», stellt die schlanke Frau mit erkennbar kreolischer Abstammung sich und ihren ernst dreinblickenden Begleiter in einem charmanten, französisch gefärbten Englisch vor. Beide tragen breitkrempige Hüte als Schutz vor der Sonne.
«Freut mich», gibt Erik knapp zur Antwort.
«Sie kennen sich aus mit Druckmaschinen?»
«Ja, ich habe mal Drucker gelernt.»
«Ach, das trifft sich gut, hätten Sie nicht Lust? Ich suche noch einen. Bei uns hier auf der Insel ist es nahezu unmöglich, ausgebildete Fachkräfte zu bekommen», lächelt Mlle Hendrics.
Erik stutzt trotzdem, beschreibt ihr dann aber in kurzen Sätzen seine berufliche Laufbahn bis heute, um deutlich zu machen, dass er schon lange nicht mehr als Drucker arbeitet.
«Na sehen Sie, passt doch», antwortet sie mit einem Lächeln, als hätte sie Eriks Bedenken völlig überhört. Nach einer kurzen Pause sagt sie: «Mir scheint, Sie orientieren sich gerade neu.»
«Wie lange bleibt ihr denn auf Rodriguez?» Mlle Hendrics schaut nach oben zu Malte, der bereits die zweite Maschine am Haken hat.
«Übermorgen gehts weiter. Erst nach Mauritius, dann nach Kapstadt.»
«Hätten Sie vielleicht morgen etwas Zeit für einen Besuch in meiner Druckerei? Sie können es sich ja mal anschauen.»
«Jeder Taxifahrer hier kennt den Weg», fügt Mlle Hendrics noch an und reicht Erik ihre Visitenkarte.
«Ich überleg’s mir.» Erik will weder zustimmen noch ablehnen. Zeit hätte er ja. Wegen ein paar Reparaturarbeiten am Schiffsantrieb hat morgen fast die gesamte Mannschaft, bis auf die Arbeiter aus dem Maschinenraum, frei und Erlaubnis zum Landgang.
Die Imprimeri Hendrics liegt am Ende der leicht bergan führenden Hauptstraße. Ein großes rotes Schild, auf dem der Name der Druckerei in plakativen weißen Lettern schon von Weitem zu sehen ist, weist ihnen den Weg. Erik hat Malte gefragt, ob er mitgehen wolle, und da dieser nichts Besseres vorhat, begleitet er seinen Freund.
Nach einer Stunde zu Fuß erreichen die beiden die Druckerei – ein eingeschossiges, weißes Gebäude mit einem Flachdach und einer angebauten, gleich hohen Halle.
Aufs Herzlichste empfängt sie die beiden Deutschen.
«Schön, dass ihr mich besucht, bitte nennt mich Fleur.
«Ich bin Erik und das ist Malte», stellt Erik sich und seinen Freund vor.
«Wir gehen gleich mal in die Druckerei, da zeige ich euch alles.»
«Wartet mal, hört ihr was?», erkundigt sich Erik mit Blick Richtung Eingangstür.
«Was denn?», fragt Fleur.
«Das Rauschen ist weg», murmelt Erik.
«Welches Rauschen?» Malte schaut seinen Freund fragend an.
«Das Wasser, die Brandung, die war doch die ganze Zeit deutlich zu hören – jetzt ist sie weg.»
Erik geht wieder nach draußen, die anderen folgen ihm.
Fleur hat Eriks Worte erst als Spaß verstanden, doch dann verharrt auch sie mit aufmerksamer Miene und sucht nach dem ihr nur zu gut bekannten Geräusch. Ihr, die als Einheimische ständig das Rauschen des Meeres hört, fällt gar nicht auf, wenn es fehlt.
Die drei können nicht sehen, was sich am Strand bereits abspielt. Dann kommt das Rauschen zurück. Donnernd, tosend – und lauter als zuvor. Angeführt von einem mächtig sich aufbäumenden Wasserberg strömt das Meer auf sie zu. Auf einer höheren, überlagernden Geräuschebene menschliche Schreie, heller als das dumpfe Grollen, das sich rasend schnell nähert. Und dann sehen sie es. Schäumend und wie eine mächtige Brandungswelle kommt das Wasser auf sie zu – eine riesige Wasserwand. Instinktiv rennen die drei zurück ins Haus und verriegeln die Tür. Fleur schreit: «Folgt mir!» Dann hat das Wasser das Haus erreicht.